Psychologe Dr. Leon Windscheid im Sonntagsfrühstück

Ich denke, wenn man das Gefühl hat, es ist zu viel, es drehen sich nachts die Gedanken in meinem Kopf, ich werde wach und kann nicht durchschlafen. Wenn ich den Eindruck habe, ich muss machen, schaffen, tun. (…) Trump, Instagram, all das prasselt auf dich ein. Da denke ich oft, schon zu gucken, wie kann ich ein Stück weit wieder Ruhe in mir finden, mit mir finden? Das ist ein Pluspunkt. Und das vielleicht auch gerade in dieser Welt. Und deswegen finde ich, ja, wir brauchen Psychologie. Wir brauchen nicht irgendwelche Chaka Life Coach-Sprüche, die dir sagen, mach das und jenes und dann hast du ab morgen ein neues Leben, 180 Grad-Wende. Nein, ich glaube, es sind viel eher kleine Schritte, die dazu führen, dass man mit sich selbst in dieser Welt ein bisschen besser klarkommt und das heißt für mich eben wissenschaftlich fundiert arbeiten.

Dr. Leon Windscheid

Was ist das für eine Welt? Du musst funktionieren, du musst perfekt sein, du musst gut sein und wenn das nicht erfüllt wird, wenn du das nicht lieferst, dann wirst du immer wie so ein Defizit betrachtet. Und ich habe manchmal den Eindruck, dass es so tief schon in unseren Köpfen drin ist, dass wir gar nicht mehr merken: Eigentlich kommt das von außen – das ist unnatürlich, das ist nicht gut, das macht uns fertig. Wir denken mittlerweile, wir wollen so sein. Du rennst im Hamsterrad, und wenn du da drin bist, siehst du ja gar nicht – von innen sieht das aus wie eine Leiter – dass du in Wirklichkeit einfach nur hechelst, machst und tust, und vielleicht an vielen Stellen nicht weiterkommst.

Dr. Leon Windscheid

Da gibt es noch so dieses Stigma: Ich geh doch nicht zum Psychologen, ich mach das mit mir selbst aus. Und lieber noch mehr machen und lieber noch mehr schaffen und Härte zeigen und bloß nicht irgendwie eine Schwäche zugeben. Und ich glaube, das ist das System, in dem wir in Deutschland mit diesen furchtbaren ‚hart wie Krupp-Stahl sein‘ und ‚Ingenieursköpfe brauchen wir‘ und ‚jeder muss fehlerfrei funktionieren‘, wo wir total drinstecken. Und ich würde mir wirklich, wirklich für uns wünschen, dass das aufbricht, dass sich das verändert. Und nicht, weil wir den psychischen Problemen hinterherrennen und hören, es gibt vielleicht mehr Diagnosen, es gibt vielleicht mehr Belastung, sondern weil wir wirklich aus dem ureigenen Interesse heraus es vielleicht gar nicht erst so weit kommen lassen möchten.

Dr. Leon Windscheid

Solange ich psychisch gesund bin, will meine Angst mir was zeigen. (…) Wir denken immer, wenn sich irgendwas nicht gut anfühlt, wenn ich nicht gut drauf bin, wenn ich nicht das Happy Life lebe, dann läuft was schief. Ich habe oft den Eindruck, wir wollen nur die positiven Emotionen, wir wollen glücklich sein. ‚Be positive‘ - sei happy, das steht irgendwie auf jeder Instagram-Kachel, das brüllt dir der Life Coach entgegen und das lernst du im Glücksseminar. Ich sage den Leuten immer: Glück ist wie furzen – wenn du zu viel Druck machst, kommt Kacke raus. Das ist ein stumpfer Spruch, aber jeder versteht sofort, was gemeint ist. Dieses ‚immer gut drauf sein wollen‘ ist unmenschlich, auch wenn wir das nach außen präsentieren sollen. (…) Das ist etwas, was ich mir eigentlich für uns alle wünsche, dass wir das anfangen, zu verstehen. Die negativen Gefühle – das, was nicht schön ist, hat einen Riesen-Mehrwert für uns, auch wenn sich das im Moment nicht gut anfühlt.

Dr. Leon Windscheid