Studie: Ab wann beginnen unsere Erinnerungen?
Was ist die früheste Kindheitserinnerung? Und wie alt war man da? Diese Frage stellen wir uns alle sehr häufig und eine Studie hat neue Erkenntnisse dazu.
Die früheste Kindheitserinnerung eines Menschen wurde bisher auf ein Alter von drei bis vier Jahren datiert, ein Phänomen bekannt als infantile Amnesie, so der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR). Die Wissenschaftlerin Caroline Miles war eine der ersten, die das Phänomen der infantilen Amnesie beschrieb. Dieses Phänomen, bei dem Erinnerungen aus den ersten Lebensjahren wie ausgelöscht scheinen, hat seither viele Psychologen beschäftigt. Neue Forschungsergebnisse aus Kanada deuten jedoch darauf hin, dass diese Grenze möglicherweise früher angesetzt werden muss, da Erinnerungen bereits ab einem Alter von zweieinhalb Jahren beginnen könnten.
Das sind die neuen Erkenntnisse zur Erinnerungsgrenze
Die kanadische Psychologie-Professorin Carole Peterson hat über zwei Jahrzehnte hinweg das Phänomen der infantilen Amnesie erforscht. Ihre aktuelle Überblicksarbeit, die Daten von rund 1.000 Personen und etwa 3.000 Erinnerungen umfasst und im Fachmagazin Memory publiziert wurde, zeigt, dass Menschen sich durchschnittlich an Ereignisse erinnern können, die bis in ein Alter von zweieinhalb Jahren zurückreichen. Die Forschung zeigt, dass die früheste Erinnerung eines Menschen kein feststehendes Ereignis ist, sondern eher ein bewegliches Ziel, das sich aus einem Pool potenzieller Erinnerungen zusammensetzt. Erwachsene und Kinder können aus diesem Pool verschiedene Erinnerungen abrufen.
Wie funktioniert der Prozess?
Peterson fand heraus, dass es relativ einfach ist, Menschen dazu zu bringen, sich an frühere Ereignisse zu erinnern, indem man sie wiederholt nach ihrer frühesten Erinnerung fragt. Dieser Prozess kann dazu führen, dass sie sich an Ereignisse erinnern, die bis zu einem Jahr früher liegen als zunächst angenommen.
Es ist wie ein Hinweis: Eine Erinnerung, die früher war, weist auf eine andere hin, die wieder früher war.
Prof. Carole Peterson, Memorial University of Newfoundland
Zudem neigen Menschen dazu, ihr Alter in frühen Erinnerungen systematisch falsch einzuschätzen, was zu einer Verschiebung der Erinnerungsgrenze führt.
Wenn man sich Dinge ansieht, die vor langer Zeit passiert sind, ist es, als würde man durch eine Linse schauen. Je weiter eine Erinnerung entfernt ist, desto näher sieht man sie durch den Teleskopeffekt.
Prof. Carole Peterson, Memorial University of Newfoundland
Individuelle Unterschiede in der Erinnerungsfähigkeit
Während die Studie einen Durchschnittswert von zweieinhalb Jahren für die Grenze der infantilen Amnesie festlegt, betont Peterson, dass es individuelle Unterschiede gibt. Einige Menschen können sich an noch frühere Ereignisse erinnern, während andere möglicherweise keine Erinnerungen aus diesem Alter haben.
Frühe Gedächtnisbildung bei Kindern
Entgegen der Annahme, dass Kleinkinder keine Erinnerungen abspeichern können, zeigen Studien, dass Kinder bereits ein gutes Gedächtnis für vergangene Erlebnisse haben. Robyn Fivush und ihre Kollegen fanden vor 30 Jahren heraus, dass zweieinhalb- bis dreijährige Kinder sich an viele Details erinnern konnten, auch wenn die Ereignisse mindestens drei Monate zurücklagen. Patricia Bauer und Marina Larkina untersuchten 2014, wie sich das Gedächtnis im Laufe der Kindheit verändert. Sie beobachteten, dass Kinder im Alter von fünf bis sieben Jahren mehr als 60 Prozent der Ereignisse abrufen konnten, während Acht- bis Neunjährige nur noch knapp 40 Prozent erinnerten. Dies deutet darauf hin, dass die Kindheitsamnesie etwa im Alter von sieben Jahren beginnt.
Warum erinnern wir uns so wenig an die Kindheit?
Rüdiger Pohl, Professor für Entwicklungspsychologie, erklärt im Magazin Spektrum, dass die Sprachentwicklung eine Schlüsselrolle bei der Kindheitsamnesie spielt. Mit drei bis vier Jahren beginnen Kinder, mehr Wörter zu lernen und Sätze zu bilden, was dazu führen kann, dass nichtsprachliche Gedächtnisspuren schwerer abrufbar werden. Außerdem können neue Nervenzellen im Hippocampus, die während der Kindheit gebildet werden, alte neuronale Aktivitätskreisläufe stören und somit bereits gespeicherte Erinnerungen unzugänglich machen. Das autobiografische Gedächtnis, das persönliche Erlebnisse speichert, ist mit einem Netzwerk von Hirnarealen verbunden, das sich während der Kindheit und bis ins junge Erwachsenenalter verändert. Die Entwicklung von kognitiven Schemata und das Selbstkonzept sind ebenfalls wichtige Faktoren, die das autobiografische Gedächtnis beeinflussen.
Die Psychologin Harlene Hayne fand heraus, dass der Gesprächsstil der Mütter auch einen Einfluss auf die Erinnerungsfähigkeit ihrer Kinder hat. Kinder, deren Mütter detailliert über Vergangenes sprachen, hatten frühere Erinnerungen als jene, deren Mütter weniger Details einstreuten. Obwohl Eltern nicht direkt steuern können, woran sich ihre Kinder erinnern werden, gibt es Möglichkeiten, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass bestimmte Erlebnisse im Gedächtnis haften bleiben. Gedächtnisforscher Professor Hans Markowitsch schlägt gegenüber der Zeitschrift Eltern.de vor, Erinnerungen persönlich zu gestalten, für Wiederholung zu sorgen, über Erlebtes zu sprechen und für Bewegung zu sorgen.
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