Katar: Vereinbarung über Waffenruhe in Gaza in Reichweite
Immer wieder kam in den Gesprächen zum Gaza-Krieg vergeblich Hoffnung auf, dass die Kämpfe enden und alle Geiseln freikommen könnten. Nach Darstellung Katars ist solch ein Deal jetzt zum Greifen nah.
Doha/Tel Aviv (dpa) - Eine Vereinbarung über eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen sowie eine Freilassung von Geiseln ist nach Darstellung Katars in Reichweite. Eine Einigung sei sehr nah, sagte der Sprecher des katarischen Außenministeriums, Madschid Al-Ansari. «Ich kann bestätigen, dass die Gespräche auf höchster Ebene hier in Doha laufen, während wir sprechen.» Israel und die islamistische Hamas hätten Entwürfe eines Vorschlags vorliegen. Er warnte zugleich vor zu hohen Erwartungen oder überzogener Aufregung. «Solange nichts verkündet wird, ist nichts verkündet», sagte al-Ansari.
Seit Monaten laufen Bemühungen der Vermittlerstaaten USA, Ägypten und Katar, durch indirekte Verhandlungen Israel zu einer Waffenruhe im Gazastreifen und die Hamas zur Freilassung israelischer Geiseln zu bewegen. Die Gespräche traten aber lange Zeit auf der Stelle. Für die USA seien sowohl die Regierung des scheidenden Präsidenten Joe Biden als auch die seines Nachfolgers Donald Trump stark involviert, sagte al-Ansari.
«Kritisches Zeitfenster» in Verhandlungen
«Wir hoffen wirklich, dass wir bald gute Nachrichten übermitteln können», sagte ein israelischer Regierungsvertreter. «Wir sind nahe dran, aber noch nicht am Abschluss.» Anders als vorher zeige die Hamas nun Ernsthaftigkeit bei den Verhandlungen. Man befinde sich gegenwärtig in einem «kritischen Zeitfenster».
Auch aus Hamas-Kreisen erfuhr die Deutsche Presse-Agentur, die Organisation erwarte jetzt «gute Nachrichten». Die Hamas habe den vorliegenden Entwurf angenommen und die Vermittler darüber informiert. Von Israel liege aber noch keine Antwort vor.
Die Einigung wäre ein lang erhoffter Durchbruch in dem 15 Monate dauernden Krieg, der verheerende Folgen für Gaza hatte und sich auf die ganze Nahost-Region auswirkte. In dem Krieg - ausgelöst durch das beispiellose Hamas-Massaker in Israel am 7. Oktober 2023 mit mehr als 1.000 Toten - wurden nach palästinensischen Angaben in dem Küstengebiet mehr als 46.600 Menschen getötet. Mehr als 110.000 wurden demnach verletzt.
«Nach vielen Monaten quälender Verhandlungen scheint eine Vereinbarung jetzt in greifbarer Nähe», teilte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit. «Wir verstehen, wie schmerzhaft jede Vereinbarung mit der Terrororganisation Hamas für Israel ist. Dennoch: Das Leben der Geiseln muss jetzt oberste Priorität haben. Das sage ich auch, da sich unter den Geiseln zahlreiche deutsche Staatsangehörige befinden.» Die Vereinbarung biete die Chance auf einen Waffenstillstand, um das Leid in Gaza endlich zu lindern.
Zunächst offenbar Freilassung von 33 Geiseln geplant
Ziel der Gespräche sei es, alle 98 Geiseln aus der Gewalt der Hamas zurückzuholen, betonte der israelische Regierungsvertreter. In einer ersten Phase sollten aber zunächst 33 «humanitäre Fälle» freikommen. Dabei handele es sich um Frauen, Kinder, Menschen über 50 sowie verletzte und kranke Geiseln. Man gehe davon aus, dass die meisten davon am Leben seien.
Im Gegenzug sollten «Hunderte von Terroristen» freikommen. Mörder dürften allerdings nicht ins Westjordanland zurückkehren. Erst wenn die Hamas mitteile, wie viele von den Geiseln am Leben seien, werde die genaue Zahl der freizulassenden Häftlinge klar werden.
Die Waffenruhe sei zunächst auf etwa 42 Tage beschränkt. Verhandlungen über die zweite Phase sollten dann am 16. Tag der Waffenruhe beginnen. Ziel sei die Freilassung einer weiteren Gruppe von jungen Männern und Soldaten im nächsten Schritt.
«Wir werden den Gazastreifen nicht verlassen, bis alle Geiseln wieder zu Hause sind», sagte der Regierungsvertreter. Auch nach Beginn der Waffenruhe sollten israelische Soldaten in einer Pufferzone am Rande des Gazastreifens und in weiteren Gebieten bleiben, um die Sicherheit der israelischen Grenzorte zu gewährleisten.
Innenpolitischer Druck auf Netanjahu
Der rechtsextreme israelische Polizeiminister Itamar Ben-Gvir drohte für den Fall eines Geisel-Abkommens mit der Hamas unterdessen mit einem Ausscheiden aus der Regierung. Er rief in einem Post auf der Plattform X den ebenfalls rechtsextremen Finanzminister Bezalel Smotrich auf, sich ihm anzuschließen im Kampf «gegen den entstehenden schrecklichen Deal».
Man müsse Ministerpräsident Benjamin Netanjahu entschlossen gemeinsam sagen, «dass wir zusammen aus der Regierung ausscheiden, wenn der Deal geschlossen wird», forderte Ben-Gvir. Dennoch sagte Ben-Gvir, auch im Falle eines Ausscheidens werde man Netanjahu nicht stürzen. Es gab in der Vergangenheit in Israel bereits Minderheitsregierungen. Netanjahu hätte ohne die Fraktionen der beiden Minister keine Mehrheit mehr.
Geänderte Umstände in Nahost und «Trump-Effekt»
Die Umstände für eine Waffenruhe in Gaza haben sich in vergangenen Monaten verändert. Im Oktober tötete Israel den Hamas-Chef in Gaza, Jihia al-Sinwar. Die Hisbollah-Miliz im Libanon wurde nach einem mehr als einjährigen Krieg mit Israel ebenfalls stark geschwächt. Im Dezember wurde die Regierung von Baschar al-Assad in Syrien gestürzt. Es waren mehrere Rückschläge für die Verbündeten des Iran in der sogenannten «Achse des Widerstands» gegen den erklärten Erzfeind Israel.
Die Vereidigung von Donald Trump zum US-Präsidenten kommenden Montag könnte den Druck in den Verhandlungen zudem erhöht haben. Der «Trump-Effekt» zeige Wirkung, zitierte das «Wall Street Journal» einen israelischen Beamten. Trump hatte der Hamas massiv gedroht und gesagt, im Nahen Osten werde «die Hölle losbrechen», wenn die Geiseln nicht bis zu seiner Amtseinführung am 20. Januar frei seien.