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Uschi legt auf – wenn Seniorinnen DJ werden

Auf dem hippen Musikfestival «c/o pop» sollen in diesem Jahr Frauen Ü70 Musik auflegen. In einem Workshop lernen sie, wie das DJ-Handwerk funktioniert. Es ist auch ein Aufstand gegen Altersklischees.

ANTENNE BAYERN ANTENNE BAYERN GmbH & Co. KG
DJ-Workshops für Ü70-Publikum Oliver Berg/dpa

Köln (dpa) - Über das Lied «Bauch Beine Po» lässt sich trefflich streiten. Die einen empfinden das von Rapperin Shirin David skizzierte Körperbild («Geh' ins Gymmie, werde skinny, mach' daraus eine Show. Wir sind pretty im Bikini, das ist Bauch, Beine, Po») als Karikatur und somit gelungene Gesellschaftskritik, andere als Verherrlichung eines ungesunden Ideals. Ingrid Jatho, 73 Jahre alt, die den Song von ihrem DJ-Pult aus gerade durch die Boxen gejagt hat, fällt ein Urteil, auf das man sich in diesem akademischen Streit rasch einigen kann. «Schräge Frau», sagt sie über Shirin David. «Aber die Musik fand ich gut.»

Ingrid Jatho hat sich in letzter Zeit relativ intensiv mit dem Werk der mehr als 40 Jahre jüngeren Rapperin auseinandergesetzt. Früher war Jatho Lehrerin - neuerdings ist sie DJ. Was das heißt, lernt sie in einem Seminar, das relativ deutlich aus dem weiten Meer von «Aktiv im Alter»-Kursen («Aquarellmalen», «Kräuterkunde», «Gefahren im Internet») herausragt.

Beats statt Baldrian

«Forever Fresh» heißt das Projekt des Kölner Musikfestivals «c/o pop», (23. bis 27. April), das schon oft Seismograph aktueller Diskurse im Pop war. Die Ankündigung liest sich vielversprechend. «Frauen ab 70 erhalten die Möglichkeit, ihre Liebe zur Musik neu zu entdecken, DJing von Grund auf zu erlernen und mit ihrer Performance die Festivalbühnen zu erobern», so das Versprechen.

Im Kern ist «Forever Fresh» eine Schnellausbildung zum DJ. Aber mit einem konkreten Ziel: Münden sollen die Workshops in einen Auftritt des «Ü70 DJ-Newcomer-Kollektivs» auf der «c/o pop» am Samstag (26. April, 21 Uhr). Die Frauen sollen einen Gig spielen.

Edeltraud, Uschi und Irmgard am DJ-Pult

Um das zu schaffen, wird geübt. An diesem Tag wummern aus zwei Zimmern in den Räumen in Köln kräftige Bässe. Abwechselnd stehen die Frauen an den Pulten, schieben die Lautstärkeregler hoch, drücken auf Knöpfe und wippen in den Beinen. Ihre Namen sind auf kleine Klebestreifen niedergeschrieben: Edeltraud, Uschi und Irmgard etwa. Tendenziell andere Namen, als man sie aus Szene-Clubs kennt.

Tatsächlich darf man nicht den Fehler begehen und das ganze Unterfangen verwitzeln. Ältere Frau steht vor blinkender Technik - da lässt sich leicht ein leidiges Klischee abrufen. Bei älteren Frauen und Musik ebenso - Stichwort Schlager. In Wahrheit versucht der Kurs genau das Gegenteil. Er ist auch ein Aufstand gegen Altersklischees. 

Ingrid Jathos Playlist ist jedenfalls so weit entfernt von Schlager wie Howard Carpendale von Gangsta-Rap. Sie hat sich für «Flowers» von Miley Cyrus, «Hips Don’t Lie» von Shakira und eben «Bauch Beine Po» von Shirin David entschieden. Geübt wurden gerade die Übergänge und das «Akzente setzen» wie sie sagt. Wie kommt man von einem Song in den nächsten? Wie «fadet» man? So nennt man das Ein- und Ausblenden eines Songs.

DJ-ing für Fortgeschrittene (im Leben)

Jatho kommt aus einer musikaffinen Familie. Aber selbst für Musik zu sorgen - das ist neu für sie. Sie hat immer nur dazu getanzt. Am DJ-Pult habe sie sich «richtig durcharbeiten müssen», sagt sie. Aber das findet sie gut.

Kurskollegin Inge Dobrinski, 79 Jahre alt, beschreibt es ähnlich. «Es war ein Ausflug in eine für mich neue Richtung», sagt sie. «Zu meinen Zeiten, als ich mir die Nächte um die Ohren geschlagen habe, gab es noch keine DJ», sagt sie, nur «Tanzveranstaltungen». Und heute? Die Club-Szene gibt sich gerne aufgeschlossen. Aber viele 70-Jährige trifft man dort nicht.

Angelernt werden die Nachwuchskräfte von zwei Frauen, die halb so alt sind. Anna Cainelli und Sedaction (so nennt sie sich) haben viel DJ-Erfahrung. Von ihren Schützlingen sind sie begeistert. «Inge war so am Start!», sagt Sedaction. «Die hat einen nach dem anderen rausgehauen!»

In Sachen Lehrstoff haben sie quasi bei 0 angefangen. Wobei die Technik für sie gar nicht mal im Fokus steht. «Uns geht es mehr darum, dass sie sich wohlfühlen mit der Musik, die sie gerade spielen», sagt Sedaction. «Und sie auch wirklich fühlen.»

Manche haben nicht mal einen Computer

Was da geleistet werde, sei nicht zu unterschätzen. Manche Teilnehmerinnen haben nicht einmal einen Computer zu Hause - nun stehen sie vor einem Meer aus Knöpfen und Reglern. Abgesprungen sei aber niemand. Wohl auch, weil Herausforderung etwas Gutes sein kann. «Viele meinten auch: So Challenges hat man im Alter einfach nicht mehr», sagt Sedaction.

Ingrid Jatho geht indes noch immer nicht «Bauch Beine Po» von Shirin David aus dem Kopf. Der Text, das ganze Sujet: Sie muss an Frauenzeitschriften denken, die sie früher las. Auf 20 Seiten superdünne Models, auf weiteren 10 Seiten Diäten. «Und dann noch einmal 20 Seiten Koch-Rezepte. Mit viel Zucker und Fett», sagt Jatho. «Das diente natürlich nur der Verwirrung der Frauen.» 

Da sei man heute «schon ein Stück weiter».

© dpa-infocom, dpa:250422-930-456641/1