Zum Hauptinhalt springen

Teilen:

Revolution am Schießstand - Deutsche Männer patzen zu oft

Für Deutschlands Biathlon-Männer läuft es am Schießstand in diesem Winter schlecht. Das Team hat Aufholbedarf - unterdessen verblüffen zwei Norweger mit einer genialen Idee.

ANTENNE BAYERN ANTENNE BAYERN GmbH & Co. KG
Biathlon-Weltcup in Hochfilzen Matthias Schrader/AP/dpa

Le Grand-Bornand (dpa) - Diese Revolution kam nicht nur für die deutschen Biathleten überraschend. Mit einer neuen Technik am Schießstand versetzen Norwegens Olympiasieger Sturla Holm Laegreid und sein junger Landsmann Martin Uldal die Konkurrenz in Aufregung. Weil sie mit ihrem Gewehr dank einer ungewöhnlichen Bewegung viel schneller zum ersten Schuss kommen, steigt der Druck auf die Konkurrenz enorm. Und das ausgerechnet zu einer Zeit, in der das Schießen das größte Problem des schwächelnden deutschen Männer-Teams um Philipp Nawrath ist.

«Wir vergeben beim Schießen zu viel», sagte Sportdirektor Felix Bitterling vom Deutschen Skiverband: «In dieser extrem engen Weltspitze muss es einfach besser werden, sonst werden wir es extrem schwer haben, da irgendwie vorn ranzukommen.» Zu oft patzte das deutsche Team bei den ersten Weltcups und hofft im Sprint am Donnerstag (14.20 Uhr/ARD und Eurosport) im französischen Le Grand-Bornand auf Besserung. «Das wird auch wieder klappen. Aber das muss einfach besser werden», sagte Bitterling.

Eine geniale Idee der Norweger

Wie kreativ sich Wege finden lassen, weitere Zehntelsekunden zu sparen und noch effizienter zu werden, zeigen ausgerechnet die Norweger. Das Team um Rekordweltmeister Johannes Thingnes Bö gibt am Schießstand ohnehin schon seit Jahren das Tempo vor, nun haben sie sich etwas Neues einfallen lassen.

Anstatt mit einem langen Griff mit dem rechten Arm über den Kopf die Waffe vom Rücken zu nehmen, greifen Laegreid und Uldal plötzlich mit links von unten zu ihrem Gewehr und ziehen es schnell nach vorn. Sie verkürzen so die Bewegung - und damit auch die Zeit bis zum ersten Schuss deutlich.

Junger Norweger schießt in neuen Sphären

Ein Stehendschießen des 23-jährigen Uldal aus der Vorwoche in Hochfilzen ging in den sozialen Medien viral. Nach nur 12,9 Sekunden hatte er den Schießstand - wenn auch mit einem Fehler - wieder verlassen. Er war fertig, da setzte der vor ihm angekommene schwedische Olympiasieger und Weltmeister Sebastian Samuelsson gerade mal seinen ersten Schuss. 

Der Weltverband IBU vermutete bei X und Instagram, dass dies das schnellste Schießen jemals war. «Das muss ein Weltrekord sein», sagte auch Bö dem TV-Sender NRK. Wer für den gesamten Vorgang mit Abgabe aller fünf Schüsse weniger als 20 Sekunden braucht, gilt normalerweise schon als extrem schnell. 

Die Norweger verschieben mit großer Risikobereitschaft und neuer Technik die Grenzen des Machbaren. Dass dies in so einer traditionellen Sportart wie Biathlon überhaupt möglich ist, überrascht. Warum vorher niemand auf diese einfache, aber geniale Idee gekommen ist? Doppel-Olympiasiegerin Laura Dahlmeier konnte sich das als ZDF-Expertin in Österreich nicht erklären, zeigte aber viel Anerkennung für das anspruchsvolle Manöver.

Kopieren ist nicht so einfach

Ob sich die Deutschen das nun abschauen und schnell kopieren? Das ist eher unwahrscheinlich. Die Abläufe sind hundertfach geübt, jede Veränderung birgt ein Risiko und braucht Zeit. Andererseits kann diese Risikobereitschaft den Unterschied machen. Zuletzt hatten auch die Deutschen um ihren Cheftrainer Uros Velepec versucht, effizienter zu werden.

Der Slowene führte den Begriff des Risiko-Schießens ein. Ein moderner Biathlet sei «immer besser mit schnellem Schießen, vollem Risiko und voller Attacke», sagte er. Die DSV-Männer waren zuvor als Präzisionsschützen bekannt. Alle Scheiben sollten abgeräumt werden, die Zeit war eher zweitrangig. In einer sich wandelnder Sportart und angetrieben von vielen schnellen Schützen aus Norwegen und Frankreich, waren Erfolge so nur sehr schwer möglich. 

Viele Fehler sind «eine Geschichte im Kopf»

In den ersten Wochen des Winters leisteten sich die deutschen Männer zu viele Fehler. «Am Schießstand ist das noch nicht gut genug», sagte Bitterling. Im Sommer hätten sie alle so viele Null-Fehler-Serien geschossen, dass man sie gar nicht mehr zählen konnte. «Sie haben das mechanisch sicher nicht verlernt, sondern das ist eine Geschichte im Kopf», sagte Bitterling: «Das ist vor allem auch mentale Arbeit.»

Philipp Horn schoss in Kontiolahti im Massenstart ebenso sechs Strafrunden wie Johannes Kühn, selbst der beste deutsche Schütze Justus Strelow hat Probleme. In dieser Verfassung sind Top-Resultate kaum möglich, einzig Nawrath schafft es bislang konstant in die Nähe der Weltspitze. Lohn waren ein Podestplatz in Finnland und zwei achte Ränge in Hochfilzen.

«Wenn Norweger oder Schweden im Ziel besser sind, dann gratulieren wir ihnen fair», sagte Bitterling: «Aber ich habe das Gefühl, dass wir es ihnen mit dieser Fehleranzahl schenken.» Wie es anders geht, zeigen die deutschen Frauen: Franziska Preuß reist als Gesamtweltcup-Führende zu den letzten Rennen des Jahres nach Frankreich. Sie glänzte zuletzt nervenstark am Schießstand und lief zu Siegen im Sprint und mit der Staffel.

© dpa-infocom, dpa:241218-930-321214/1