Fußballfans im Zug: Wenn die Reise eskaliert
Volle Züge, laute Fans, Schäden und Übergriffe: Fußballreisen eskalieren immer wieder. Wer trägt die Verantwortung – und was wird getan?
Berlin (dpa) - Viele Bahnreisende kennen die Situation: Der Zug ist voll mit Fußballfans. Es riecht nach Bier und Zigaretten, Musik dröhnt aus Boxen, begleitet von lautem Lachen und derben Sprüchen. Doch nicht immer bleibt es bei einer bloßen Unannehmlichkeit – manchmal eskaliert die Situation: Belästigungen, Streitigkeiten und Randale sind die Folge.
«Fast alle Zugfahrten von Fußballfans verlaufen ohne Probleme. Durch eine Minderheit von gewaltbereiten Störer:innen entstehen der DB jedes Jahr etwa zwei Millionen Euro Kosten», teilte die Deutsche Bahn der dpa auf Anfrage mit. Diese Kosten entstünden durch die Beseitigung von Schmierereien und Schäden wie aufgeschlitzten Sitzen oder eingetretenen Scheiben.
Es bleibt nicht bei Vandalismus
Ein Zug der Ostdeutschen Eisenbahn GmbH (ODEG) wurde im Frühjahr dieses Jahres von Anhängern des 1. FC Magdeburg verwüstet. Einer von mehreren Vorfällen. Insgesamt beziffert das Unternehmen die in diesem Jahr durch Fans verursachten Schäden auf 25.000 bis 30.000 Euro.
Neben Sachschäden sind auch Übergriffe auf Reisende keine Seltenheit. Das erfuhr die Sängerin Mine am eigenen Leib. Im November saß sie im gleichen Zug wie eine Gruppe von Hertha-Fans, die auf dem Rückweg aus Darmstadt waren.
Auf Instagram schilderte sie die bedrückenden Szenen und postete auch Videos. Sie wurde belästigt und beleidigt. Es gab sexistische und rassistische Sprüche. Die Bundespolizei konnte einen der Männer ausfindig machen und nahm Ermittlungen auf. Er war der Polizei bereits wegen ähnlicher Vorfälle bekannt.
Vereine übernehmen mehr Verantwortung
«Es gibt ab und zu mal Posts und Berichte auf Social Media von solchen Ereignissen, die aber überhaupt nicht zur Kenntnis genommen werden, weil die Personen nicht so eine Reichweite haben wie Mine. Insofern war das ein sehr mutiger Akt», sagt Jonas Gabler.
Der Politikwissenschaftler ist Geschäftsführer der Organisation «Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit», die sich unter anderem der Arbeit gegen Diskriminierung und für Vielfalt im Fußball verschrieben hat.
Der Fall von Mine sorgte bundesweit für Aufsehen. Fußball-Zweitligist Hertha BSC reagierte schnell, verurteilte das Verhalten der kleinen Gruppe und lud die Sängerin zu einem Gespräch ein.
«Es ist wichtig, dass da Verantwortung übernommen wird von den Vereinen», sagt Gabler. Die Clubs könnten nicht in jedem der zahlreichen Züge Personal mitschicken, hätten aber die Aufgabe, «das aufzuarbeiten und sich zu fragen: Welche Normen geben wir uns?» Diese Debatte will Hertha bei einem Fan-Dialog anstoßen, doch auch in der Szene selbst sei die Problematik bereits vor dem Vorfall ein Thema gewesen.
Betroffenen helfen
Für Gabler steckt darin eine Chance. «Am ehesten kann man so etwas verhindern, wenn Leute aus der eigenen Gruppe intervenieren», sagte er. Zudem könne man den Betroffenen Unterstützung anbieten. Auch Hertha appellierte an seine Anhänger, «sich in solchen Fällen entschieden dagegenzustellen, um derartige Geschehnisse sofort zu unterbinden».
Die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) erhebt Daten zu Straftaten bei Polizeieinsätzen um Fußballspiele. Die meisten passieren weiterhin im und um das Stadion. Bei Bundesliga-Einsätzen lag der Anteil der Straftaten an Bahnhöfen und in Zügen bei knapp zehn Prozent, in der 2. Bundesliga aber sogar bei 22,8 Prozent.
Laut Bundespolizei sind auf Bahnhöfen vor allem Gewaltdelikte und Beleidigungen gegen Beamte häufig, während in Zügen Sachbeschädigungen und Körperverletzungen dominieren.
Enthemmende Faktoren spielen große Rolle
Tausende Fans reisen jedes Wochenende durch die Republik. Die Polizei könne jedoch nicht überall in großer Zahl präsent sein, sagt Gabler. Er betont aber, dass die Kommunikationswege dann aber schnell funktionieren müssten, damit die Bundespolizei im Ernstfall rasch vor Ort sein könne, sofern dies von der betroffenen Person gewünscht sei.
Die ODEG setzt präventive Sicherheitsmaßnahmen um, wie die Begleitung von Zügen durch Sicherheitskräfte und die frühzeitige Abstimmung mit der Polizei. Diese Zusammenarbeit habe sich zuletzt vertieft.
Statistiken zum Geschlecht der Täter gibt es nicht, doch Gabler ist sich mit Blick auf Sexismus sicher: «Das ist auf jeden Fall ein Problem von Männern, das ist ein Problem von überkommenden Männlichkeitsidealen.»
Solche Verhaltensweisen treten besonders hervor, wenn enthemmende Faktoren wirken und es einen Ausbruch aus den gesellschaftlichen Konventionen gibt.«Das kann Fußball sein, das können aber auch Volksfeste sein, das kann Karneval sein», sagte er. Alkohol spiele dabei eine zentrale Rolle.
Es geht an grundsätzliche Themen
Das Ganze ist am Ende kein Fußball-Problem, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Positiv bewertet Gabler, dass inzwischen von Aktivistinnen ein Bewusstsein dafür geschaffen wurde und die Vereine mehr tun. Für ihn sind das aber nur erste Schritte.
«Diese Vorfälle verweisen auf ein Problem, was viel größer ist und was man nicht einfach mit so einer Checkliste mit ein paar Maßnahmen bearbeiten kann. Wenn man damit anfängt und das ernst meint, dann geht es an sehr grundsätzliche Themen ran», sagt er.