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Heftige Kritik am Umgang Bayerns mit NS-Raubkunst

Im Nationalsozialismus erworbene Kunstwerke gelten als kritisch. Denn oft waren sie jüdisches Eigentum und wurden geraubt. Bayern steht nun wegen seines Umgangs mit NS-Raubkunst in der Kritik.

ANTENNE BAYERN ANTENNE BAYERN GmbH & Co. KG
Kunstareal München Sven Hoppe/dpa

München (dpa/lby) - Systematisch plünderten die Nationalsozialisten jüdische Kunstsammlungen. NS-Verbrecher wie Hermann Göring horteten Gemälde, Skulpturen und andere Schätze. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind Museen und Sammlungen in ganz Deutschland darum bemüht, diese NS-Raubkunst an die früheren Eigentümer oder deren Erben zurückzugeben. Gegen die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen wurden in diesem Zusammenhang nun Vorwürfe erhoben. Es geht um Vertuschung und fehlende Transparenz.

Interne Liste mit Raubkunst?

Der Freistaat habe zwar rund 200 Werke aus seinem Besitz in einer internen Liste als eindeutige Raubkunst markiert, diese Informationen aber nicht geteilt und auch keine Verfahren zur Restitution eingeleitet, beklagten die Erben des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim in einem Schreiben ihrer Anwälte. Bei rund 800 weiteren Werken handele es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um Raubkunst. Dabei bezogen sie sich auf einen Bericht der «Süddeutschen Zeitung», die Einblick in eine Liste hatte. 

Flechtheim (1878-1937) förderte Künstler wie Paul Klee oder Max Beckmann. 1933 floh er nach London, wo er 1937 bei einem Unfall starb. Seine Erben fordern mehrere Werke von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen zurück, darunter Max Beckmanns Gemälde «Chinesisches Feuerwerk». 

Staatsgemäldesammlungen: Daten veraltet

Die Staatsgemäldesammlungen wiesen die Vorwürfe als fehlerhaft zurück. Den Angaben zufolge gibt es zwar eine interne Datenbank, in der der Stand der Forschungen zur Herkunft von Kunstwerken festgehalten wird. Werke werden als Rot markiert, wenn ein Raubkunst-Verdacht besteht oder die Werke zurückgefordert werden. Der Stand dieser Datenbank ändere sich aber fast wöchentlich, teilte die Sammlung mit. Die Liste, die der «Süddeutschen Zeitung» vorliege, sei schon mehrere Jahre alt und deshalb nicht mehr aktuell. 

Die Institution verweist zudem auf ihre Online-Sammlung, in der sich zu betroffenen Werken auch Hinweise zur Provenienz finden - für alle einsehbar. Bei «Chinesisches Feuerwerk» war bis Donnerstagmittag allerdings nichts zu einem Rückgabegesuch vermerkt.

Kritik von Erben, Appell vom Minister

«Bayern hätte Hinterbliebene von Opfern informieren, die Werke an öffentliche Datenbanken melden und Restitutionsverfahren einleiten müssen», kritisierten die Anwälte der Erben. «Tatsächlich zeigt sich, dass Bayern sich von Anfang an nicht an diese Regeln halten wollte und die Ahnungslosigkeit vieler möglicher Anspruchsteller schamlos ausgenutzt hat. Hier wird ein massives Unrecht der Nazis auch mehr als 80 Jahre später aufrechterhalten.»

Bayerns Kunstminister Markus Blume hatte erst im Dezember 2024 betont, der Freistaat dürfe «in Sachen Restitution keine Zeit mehr verlieren». Nach den neuen Vorwürfen sagte der CSU-Politiker, er erwarte von den Staatsgemäldesammlungen, «dass sie sich unverzüglich und lückenlos mit den Vorwürfen auseinandersetzen». Sein Ministerium habe dazu eine Stellungnahme von der ihm nachgeordneten Behörde angefordert. 

«Es darf keinerlei Zweifel bleiben an der notwendigen Sorgfalt bei der Provenienzforschung wie auch an der Transparenz bei der Restitutionspraxis», sagte Blume. «Wir werden alles tun, um beschädigtes Vertrauen wiederherzustellen. Bayern stand und steht ohne Wenn und Aber zur Wiedergutmachung von erlittenem NS-Unrecht.»

Claudia Roth fordert umfassende Aufklärung

Kulturstaatsministerin Roth nannte die Recherchen beunruhigend. «Es geht um mangelnde Transparenz, möglicherweise um bewusstes Verschleiern und Verhindern von fairen und gerechten Lösungen», sagte sie auf Anfrage. Die Staatsgemäldesammlungen und das Kunstministerium müssten umfassend und schnell aufklären. «Es wäre ein Skandal, wenn hier Erkenntnisse über NS-Raubkunst bewusst zurückgehalten wurden und werden.» 

Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände hatten im Oktober 2024 beschlossen, die Regeln für die Restitution zu reformieren. Bislang konnten sich im Streitfall Erben und aktuelle Besitzer eines Kunstwerkes an die Beratende Kommission wenden, die eine Empfehlung aussprach. 

Nun soll es ein Schiedsgericht geben, das nach Roths Willen abschließend entscheidet. Zudem soll es möglich sein, dass nur eine Streitpartei das Gericht anruft, auch gegen den Willen der Gegenseite. Die Beratende Kommission mussten dagegen beide Seiten gemeinsam anrufen.

Streit um «Madame Soler» 

Eine wichtige Rolle spielte der Zwang zur gemeinsamen Anrufung der Kommission im Fall des Gemäldes «Madame Soler» von Pablo Picasso. Seit Jahren fordern die Erben des jüdischen Kunstsammlers Paul von Mendelssohn-Bartholdy das Bild von den Staatsgemäldesammlungen zurück. 

Bayern wurde vorgeworfen, die Anrufung der Kommission zu blockieren. Ein Schiedsgericht könnte nun eine Entscheidung bringen. Dieser wolle man sich dann auch beugen, hatte Kunstminister Blume (CSU) schon im Frühjahr 2024 erklärt.

Roth will schnellere Verfahren

Roth betonte, dass sich auch die bayerische Staatsregierung verpflichtet habe, so eine Schiedsgerichtsbarkeit einzurichten. Dies sei nun umso wichtiger. «Denn durch die einseitige Anrufbarkeit wird genau das unmöglich, was hier geschehen zu sein scheint: verzögern und verdecken», fügte Roth an. 

Sie werde diesen Fall zum Anlass nehmen, gemeinsam mit den Ländern über eine Neuausrichtung der Förderpraxis in der Provenienzforschung zu sprechen und diese zu stärken. «Wir brauchen hier schnellere und unabhängigere Verfahren.»

Sanne Kurz (Grüne), kulturpolitische Sprecherin ihrer Fraktion im Landtag, schloss sich der Kritik an. Da werde nicht wirklich nach den Washingtoner Prinzipien vorgegangen. «Es ist auffällig, dass immer mit großem Tamtam Kunstwerke von relativ geringem Wert restituiert werden. Wenn es um die großen Fische geht, findet man irgendwelche Hintertüren», sagte sie der «Süddeutschen Zeitung». «Vielleicht versucht die Staatsregierung einfach, sie im Staatshaushalt zu behalten.»

Kunstraub der Nazis

Von NS-Raubkunst spricht man, wenn jüdische Kunstsammler Werke während des Nationalsozialismus unter Zwang herausgeben oder verkaufen mussten, oft zu extrem niedrigen Preisen. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterschrieben 43 Länder die Washingtoner Prinzipien, darunter auch Deutschland. 

Sie verpflichteten sich, herauszufinden, welche Kunstwerke in ihren Sammlungen geraubt wurden und diese an die ursprünglichen Eigentümer zurückzugeben, also zu restituieren. Viele Museen und Sammlungen haben dafür eigene Abteilungen für Provenienzforschung, so auch die Staatsgemäldesammlungen.

© dpa-infocom, dpa:250220-930-380893/4