Behörde musste bei Wurst-Warnung nicht «ins Blaue» ermitteln
In einer bayerischen Metzgerei fanden behördliche Kontrolleure 2016 überhöhte Listerienwerte. Wurde daraufhin zu viel Wurst zurückgerufen? Der BGH nimmt das Unternehmen mit in die Pflicht.
Karlsruhe (dpa) - Im Rechtsstreit um eine öffentliche Warnung des Freistaats Bayern vor Produkten der insolventen Großmetzgerei Sieber hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Mitwirkungspflicht des Unternehmens betont. Die Metzgerei hätte mit den zuständigen Behörden aktiv zusammenarbeiten und von sich aus auf gesundheitlich unbedenkliche Wurstware hinweisen müssen, entschied der Karlsruher Senat und hob ein Urteil aus München auf.
Im Wacholder-Wammerl der Metzgerei hatten behördliche Kontrolleure 2016 wiederholt Listerienwerte festgestellt, die weit über dem zulässigen Grenzwert lagen. Listerien sind Bakterien, die insbesondere für Schwangere, Neugeborene und Immungeschwächte lebensbedrohlich sind. Nach dem Verzehr von mit Listerien belasteten Produkten waren von 2012 an knapp 80 Menschen in Süddeutschland erkrankt, 8 starben.
Die bayerischen Behörden entschieden, die Öffentlichkeit müsse vor den Sieber-Produkten gewarnt werden. Die Metzgerei versuchte noch, sich mit einem Eilantrag zu wehren - ohne Erfolg. Ende Mai veröffentlichte das Verbraucherschutzministerium eine Warnung vor sämtlichen Schinken- und Wurstprodukten des Unternehmens. Die Ware wurde zurückgerufen und die Produktion eingestellt. Sieber ging später insolvent.
Schadenersatz in Millionenhöhe gefordert
Der Insolvenzverwalter zog anschließend gegen den Freistaat vor Gericht und forderte Schadenersatz in Höhe von rund elf Millionen Euro. Seiner Ansicht nach hätten nachpasteurisierte beziehungsweise zwingend vor dem Verzehr zu erhitzende Produkte der Metzgerei von der Warnung und dem Rückruf ausgeschlossen werden müssen, da von ihnen keine Gefahr ausgegangen sei. Das Oberlandesgericht München gab ihm damit in Zweiter Instanz teils recht.
Das Münchner Urteil wurde vom Karlsruher Senat nun aber teils wieder aufgehoben. Die zuständigen Beamten seien nicht verpflichtet gewesen, von sich aus etwa durch Befragung des Personals «ins Blaue hinein» zu ermitteln, ob und welche nachpasteurisierten Produkte die Metzgerei im Sortiment hatte, so der BGH. Was ein Amtsträger trotz sorgfältiger und gewissenhafter Prüfung nicht sehe, könne von ihm auch nicht berücksichtigt werden. (Az. III ZR 24/23)
Das OLG habe festgestellt, dass kein Mitarbeiter der Gesundheitsbehörden bei seit 2011 durchgeführten Betriebskontrollen «Wahrnehmungen gemacht oder Unterlagen gesehen hat, die auf ein Nachpasteurisieren von Produkten hätten schließen lassen». Weder der damalige Sieber-Geschäftsführer noch seine Beschäftigten hätten zudem darauf hingewiesen.
Fall geht zurück nach München
Das OLG habe die Anforderungen an die Behörde überspannt und verkannt, dass es am Unternehmen lag, auf unbedenkliche Produkte aktiv hinzuweisen. Das sei allein deshalb der Fall, weil die Nachpasteurisierung ein betriebsinterner Vorgang ist, der sich außerhalb der behördlichen Wahrnehmung abspielte, so der BGH. Das Unternehmen habe eine Mitwirkungs- und Kooperationspflicht.
Anstatt selbst zu entscheiden, verwies der BGH die Sache am Donnerstag nach München zurück. Denn der Insolvenzverwalter habe im Verfahren behauptet, die Behördenmitarbeiter hätten Kenntnis von der Pasteurisierung gehabt. Die hierfür benannten Zeugen seien aber nicht vernommen worden. Es sei nicht ausgeschlossen, dass sich daraus Anhaltspunkte für ein fahrlässiges Verhalten von Amtsträgern ergeben könnte, so der Karlsruher Senat. Das OLG München muss nun erneut verhandeln und entscheiden.