Wahre Preise: Wie setzen sich die Lebensmittelkosten zusammen?
Die Kalkulation des Preises zählt zu den schwierigsten Aufgaben eines Unternehmers. Doch wie kommen diese Kosten überhaupt zustande und was steckt dahinter?
Bei der Kalkulation eines Produkts stehen mindestens zwei zentrale Anforderungen an Fairness miteinander in Einklang. Zum einen ist es für den Konsumenten von entscheidender Bedeutung, dass der Preis des Produktes fair ist, was bedeutet, dass er in einem angemessenen Verhältnis zur erbrachten Leistung steht. Dabei sollte der Kunde das Gefühl haben, für die erhaltene Qualität und Funktionalität einen gerechten Preis zu zahlen. Gleichzeitig ist es unabdingbar, dass alle Personen, die an der Herstellung und dem Vertrieb des Produktes beteiligt sind, von ihrer Arbeit leben können. Dies schließt nicht nur die Arbeiter in der Produktion, sondern auch die Mitarbeiter im Vertrieb, im Marketing und in anderen Bereichen ein. Fairness in diesem Kontext bedeutet, gerechte Löhne und Arbeitsbedingungen sicherzustellen, um eine nachhaltige Existenzgrundlage für alle Beteiligten zu gewährleisten. Wie werden also Preise kalkuliert?
Pennys "Wahre-Kosten-Aktion"
Der Discounter PENNY hatte Ende Juli 2023 für eine Woche bei neun ausgewählten Produkten die "wahren" Preise kassiert - also den Betrag, der bei Berücksichtigung aller durch die Produktion verursachten Umweltschäden eigentlich berechnet werden müsste. Die Produkte vom Käse bis zum Wiener Würstchen wurden dadurch um bis zu 94 Prozent teurer. Bio-Produkte erhielten niedrigere Aufschläge. Die Handelskette wollte damit nach eigenen Angaben mehr Bewusstsein für die Umweltbelastungen durch die Lebensmittelproduktion schaffen und eine Debatte anstoßen, auch außerhalb der Kundschaft. Viele Kunden hätten die Aktion verstanden und unterstützt, sagte ein Sprecher des Discounters. So hätten mehr Menschen zu den entsprechenden Produkten gegriffen als das angesichts der hohen Preisaufschläge zu erwarten gewesen sei. Eine Wiederholung oder Ausweitung der Aktion sei vorerst nicht geplant.
Bei der Aktion des Discounters sind die Verkaufszahlen nicht so stark gesunken wie erwartet. Das ist das Ergebnis einer Studie von Wissenschaftlern der Technischen Hochschule Nürnberg und der Universität Greifswald. Dass die Verkaufszahlen nicht so stark gesunken sind wie erwartet, ist den Studienautoren zufolge auch auf die begleitende Wissenschaftskommunikation und die Verbindung mit der Spende zurückzuführen. Der Studie zufolge haben 64 Prozent der Befragten von der Aktion mitbekommen. Bei jedem Zweiten hat diese demnach das Bewusstsein für die wahren Kosten von Lebensmitteln geführt. 46 Prozent gaben an, die Kampagne sei lediglich Marketing und habe keine positiven Auswirkungen.
Nach der Kampagnenwoche sind zwar die Schätzungen der Mehrkosten für die wahren Kosten gestiegen, sowohl bei Produkten, die vorher überschätzt, als auch bei denen, die unterschätzt wurden. Dies zeigt, dass die Befragten realisiert haben, dass die wahren Kosten höher sind als ursprünglich angenommen.
Projektleiter und Ressourcenökonom der Technischen Hochschule Nürnberg, Tobias Gaugler
Wie setzt sich der Preis eines Produktes zusammen?
Die Preise für Lebensmittel in Deutschland liegen über dem EU-Durchschnitt, doch stellt sich die Frage, ob sie trotzdem noch zu günstig sind. PENNY und die Universität Augsburg sorgten mit ihrer Aktion zu den "wahren Kosten" von Lebensmitteln für Aufsehen, indem sie die Folgekosten der Umweltauswirkungen in den Fokus rückten. Doch wie entstehen eigentlich die gewöhnlichen Lebensmittelpreise? Die Preiskalkulation beginnt damit, dass Unternehmen der Ernährungsindustrie die Kosten für ihre Produkte kalkulieren, so die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). In diese Kalkulation fließen Faktoren wie:
- Rohstoffkosten,
- Wettbewerbsdruck,
- Energiekosten, Lohnkosten,
- Menge,
- Technologie und
- Gewinnmarge
ein. Insbesondere Rohstoffkosten unterliegen, allein aufgrund von Witterungseinflüssen, erheblichen Schwankungen. In den Verhandlungen mit dem Lebensmitteleinzelhandel wird der Verkaufspreis ausgehandelt, der jedoch nicht direkt dem Preis entspricht, den der Verbraucher an der Ladentheke zahlt. Hier entscheidet der Einzelhandel basierend auf seiner Gewinn- und Kostenkalkulation sowie der Zahlungsbereitschaft der Kunden über den Endpreis. Das Kaufverhalten der Verbraucher beeinflusst somit direkt die Lebensmittelpreise – sind sie bereit, mehr für Qualität, Tierwohl, Nährwerte oder Nachhaltigkeit zu zahlen?
Wie werden Preisanpassungen gemacht?
Preisanpassungen erfolgen aufgrund verschiedener Faktoren, und die Verhandlungen zwischen den zahlreichen Unternehmen in der Lieferkette sind komplex. Vereinbarte Preise sind oft über mehrere Monate bindend. Die fünf Großunternehmen im Einzelhandel, die einen Umsatzanteil von 75 Prozent am Lebensmittelmarkt haben, verhandeln am Ende der Lieferkette mit tausenden Zulieferern. Steigen die Produktionskosten, können Preisanpassungen notwendig werden, um die Ertragskraft der Lebensmittelproduktion zu erhalten. Die Verhandlungsstärke des Handels kann jedoch Preisanpassungen erschweren.
Ein weiterer Einflussfaktor ist der Weltmarkt, auf dem Lebensmittel und Agrarrohstoffe gehandelt werden. Die globale Nachfrage nach Lebensmitteln und Agrarrohstoffen beeinflusst den deutschen Markt, und auch Erntebedingungen und Handelsbarrieren tragen zu Preisschwankungen bei. Gleichzeitig fördert die Nachfrage nach deutschen Lebensmitteln im Ausland eine effizientere Produktion und niedrigere Preise. Die Preise für Lebensmittel werden also nicht einseitig von Angebot oder Nachfrage bestimmt, sondern sind das Ergebnis komplexer Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Faktoren. Die steigende Zahlungsbereitschaft der Verbraucher für qualitativ hochwertige Lebensmittel eröffnet der Branche jedoch neue Potenziale in Bezug auf Wertschöpfung und Nachhaltigkeit. Bei der Preisgestaltung müssen gleichzeitig globale Entwicklungen, saisonale Einflüsse, Wetterbedingungen und Krisen berücksichtigt werden. Nichtsdestoweniger haben die Verbraucher durch ihre Nachfrage an der Ladentheke die Möglichkeit, das Angebot mitzubestimmen.