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Ein klarer Favorit und viele offene Fragen

Der Wahlkampf war wild, an den Umfragen hat er aber kaum etwas geändert. Merz geht als klarer Favorit in die Bundestagswahl. Die Regierungsbildung dürfte schwierig werden. Aber die Zeit drängt.

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Scholz und Merz im TV-Duell Michael Kappeler/dpa-Pool/dpa

Berlin (dpa) - Auch wenn die Lage aussichtslos erscheint, Bundeskanzler Olaf Scholz findet trotzdem noch einen Weg, sich und seiner SPD Mut zu machen. «Diesmal wie noch bei keiner Wahl werden viele erst in der Wahlkabine ihre Entscheidung treffen», zeigt er sich sicher. «Und da glaube ich, dass viele sagen: Das soll wieder Olaf Scholz sein.»

Zweckoptimismus und Durchhalteparolen, das ist das Einzige, was Scholz auf den letzten Metern bis zur Wahlentscheidung am Sonntag noch bleibt. Die Geschichte seiner legendären Aufholjagd von 2021 ist längst nicht mehr von ihm zu hören. Damals war er wie jetzt mit etwa 15 Prozentpunkten Rückstand in den Wahlkampf gestartet, überholte die Union schon Wochen vor dem Wahltag und brachte dann einen knappen Vorsprung über die Ziellinie. Diesmal war der Winterwahlkampf zwar wild, der Rückstand aber wie eingefroren. Von der Neuwahl-Entscheidung im November bis heute tat sich fast nichts.

Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) tritt daher auch schon jetzt wie der sichere Wahlsieger auf. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz wurde er vergangenes Wochenende schon von einer Moderatorin als «Kanzler» begrüßt. In Fernsehdebatten lässt er die Scholz-Attacken staatsmännisch an sich abperlen. Und er bereitet sich akribisch auf die Regierungsbildung am Tag nach der Wahl vor. «Wir haben für mehrere Szenarien hier im Adenauer Haus bereits Vorbereitungsarbeiten getroffen, die sind auch schriftlich fixiert», sagte er kürzlich «Politico».

Am liebsten zu zweit: Schwarz-Rot als wahrscheinlichste Option 

Wie schwer die Regierungsbildung wird, hängt maßgeblich davon ab, wie viele Parteien in den Bundestag kommen. Vier Fraktionen werden dem neuen Parlament sicher wieder angehören: CDU/CSU (27 bis 31 Prozent in den Umfragen der laufenden Woche), AfD (20 bis 21), SPD (15 bis 17) und die Grünen (12 bis 14). Linke, FDP und BSW ringen mit der Fünf-Prozent-Hürde. Kommt keine oder nur eine dieser drei Parteien in den Bundestag, stehen die Chancen gut, dass es für eine Zweierkoalition reicht. Ab zwei dürfte es knapp werden.

Eine Koalition mit der AfD haben alle anderen Parteien ausgeschlossen - auch die Union. «Das ist klar und endgültig», wiederholte Merz am Mittwoch im Fernsehduell von «Bild» und «Welt».

Es bleiben damit erst einmal zwei Optionen: In fast allen aktuellen Umfragen hat die Union mit der SPD eine Mehrheit, bei der Hälfte aller Institute reicht es auch noch mit den Grünen. Mit letzteren will die CSU allerdings auf keinen Fall regieren, deswegen gelten Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD erst einmal als wahrscheinlichste Option. 

Kein Selbstläufer: SPD muss sich neu sortieren

Ein Selbstläufer wäre sie aber sicher nicht. Der SPD droht das schlechteste Ergebnis bei einer Bundestagswahl (bisher 20,5 Prozent im Jahr 2017). Olaf Scholz dürfte bei einer solch historischen Niederlage keine Rolle mehr spielen, wenn es um die Regierungsbildung oder die Zukunft seiner Partei geht.

Aber auch die Parteiführung wäre massiv angeschlagen. Wird ein geschwächter Parteichef Lars Klingbeil die SPD dann trotzdem in die Koalitionsverhandlungen führen? Oder schlägt dann die Stunde von Verteidigungsminister Boris Pistorius, dem immer noch beliebtesten Politiker Deutschlands?

Schwarz-Grün in der Hinterhand?

So oder so wird die SPD versuchen, den Preis für eine Koalition hochzutreiben. Am Ende müsste das Ergebnis von einem Parteitag oder sogar in einer Abstimmung der Mitglieder abgesegnet werden. Das wird die Parteiführung in den Verhandlungen als Druckmittel nutzen. 

Wenn es der Union zu bunt wird, könnte sie gegebenenfalls doch noch die Option Schwarz-Grün ziehen. Ohnehin dürfte Merz auch mit den Grünen reden, sollte eine Zweierkonstellation mit ihnen rechnerisch möglich sein - CSU-Chef Markus Söder hin oder her, der strikt gegen Schwarz-Grün ist. Allein schon, um sich den Forderungen der SPD nicht von vorneherein auszuliefern. 

Dreier-Koalition: Ampel als abschreckendes Beispiel 

Das Experiment Dreier-Koalition auf Bundesebene ist mit der Ampel im ersten Anlauf krachend gescheitert. Deswegen gilt ein solches Modell nur noch als Notlösung, wenn gar nichts anderes mehr geht. Da die FDP eine Koalition mit den Grünen per Parteitagsbeschluss ausgeschlossen hat, bleiben nur zwei Optionen: Eine sogenannte Deutschland-Koalition aus Union, SPD und FDP, sollten die Liberalen in den Bundestag kommen. Oder Schwarz-Rot-Grün, von manchen nach den Landesfarben auch Kenia-Koalition genannt. Für beide Fälle gilt: Je mehr am Tisch sitzen, desto komplizierter wird es.

Ob die FDP überhaupt in den Bundestag kommt, ist aber noch offen. Ihr könnte dasselbe Schicksal widerfahren wie nach ihrer letzten Regierungsbeteiligung 2009 bis 2013 unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU): das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde. Es wäre erst das zweite Mal seit 1949, dass die Liberalen aus dem Bundestag fliegen. 

Koalition mit Linke und BSW kein Thema

Für eine Überraschung könnte die Linke sorgen. Die hatte nach den Erfolgen des neu gegründeten BSW ihrer früheren Fraktionschefin Sahra Wagenknecht auf Landesebene eigentlich niemand mehr so richtig auf dem Schirm. Die Diskussion um die «Brandmauer» zur AfD und eine clevere Kampagne in den sozialen Medien hat ihr aber ein Comeback in den Umfragen verschafft. Das Momentum des BSW verblasst dagegen wieder.

Eine Beteiligung von BSW oder der Linken an einer von der SPD oder den Grünen geführten Regierung gilt aber als extrem unwahrscheinlich. Die Umfragen geben das nicht her, und Kanzler Scholz betont: «Das ist kein Plan, den irgendjemand von uns hat, und deshalb braucht man sich da auch keine Sorgen machen.»

AfD: Gewinnerin im Wartestand

Zu den Gewinnern wird am Sonntagabend mit Sicherheit die Partei zählen, mit der keiner will. Allen Umfragen zufolge dürfte die vom Verfassungsschutz als in Teilen rechtsextremistisch eingestufte AfD ihr Ergebnis von 10,3 Prozent bei der Wahl 2021 verdoppeln. 

Die AfD hat schon im Wahlkampf ihre Erfolgserlebnisse gehabt. Die Union hat sich im Bundestag mit ihrer Hilfe eine Mehrheit verschafft, um einen Beschluss zur Migrationspolitik herbeizuführen. Und Parteichefin Alice Weidel ist in Fernsehrunden erstmals auf Augenhöhe mit den Kanzlerkandidaten Scholz, Merz und Robert Habeck von den Grünen aufgetreten. 

Die AfD ist ein Stück weit salonfähig geworden - und setzt darauf, dass sie bei der nächsten Wahl stärkste Kraft werden kann. Für die Parteien der Mitte wird es darauf ankommen, in den nächsten vier Jahren genau das zu verhindern. Als Voraussetzung Nummer eins wird von vielen genannt: Eine Koalition ohne Dauerstreit und Grabenkämpfe - anders, als die Ampel es vorgemacht hat.

Zeitdruck: Die Welt ordnet sich neu - ohne Deutschland

Die Zeit drängt jedenfalls wie selten zuvor bei einer Regierungsbildung. Seit fast vier Monaten hat Deutschland nun schon eine nur noch bedingt handlungsfähige rot-grüne Minderheitsregierung. Bei einer Wahlniederlage wird Scholz zwar bis zur Vereidigung eines neuen Kabinetts Kanzler bleiben. Er ist nach der Konstituierung des neuen Bundestags aber nur noch ein Geschäftsführer Deutschlands ohne Macht. Und das in einer Zeit, in der sich die Welt in dramatischer Weise neu ordnet. 

Während Deutschland sich sortiert, wird US-Präsident Donald Trump mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über eine Aufteilung der Ukraine verhandeln. Die EU steht hilflos und zerstritten daneben. 

Merz zeigt sich schon jetzt ungeduldig. Er will, dass die Regierung bis Ostern steht - nach etwa zwei Monaten. «Wenn wir uns wochenlang, möglicherweise monatelang, möglicherweise mit Parteitagen, sogar Mitgliederbefragungen einzelner potenzieller Partner noch lange aufhalten, dann wird mir der Zeitraum, in dem dieses Land ohne regierungsfähige Mehrheit ist, zu lang», sagt er.

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