BGH prüft: Muss Familie aus Rangsdorf ihr Haus abreißen?
Eine Familie zieht ins neu gebaute Eigenheim. Dann der Schock: das Amt hat einen Fehler gemacht, der eigentliche Besitzer will sein Grundstück zurück - ohne Haus. Das schaut sich der BGH an.
Karlsruhe/Rangsdorf (dpa) - Für eine Familie aus Brandenburg steht am Bundesgerichtshof (BGH) einiges auf dem Spiel. Das höchste deutsche Zivilgericht prüft, ob sie nach einem schwerwiegenden Behördenfehler ihr Haus abreißen und das vor rund 15 Jahren ersteigerte Grundstück räumen muss. Eine Entscheidung will der Karlsruher Senat am 14. März verkünden.
Die betroffenen Eheleute W. hatten das Grundstück im brandenburgischen Rangsdorf 2010 bei einer Zwangsversteigerung erworben. Doch nachdem sie darauf ein Haus gebaut und mit ihren zwei Kindern eingezogen waren, meldete sich der ursprüngliche Eigentümer und forderte das Grundstück zurück. Der Mann hatte erst nach dem Zuschlag von der Zwangsversteigerung seines Grundstücks erfahren.
Der Fehler sei dem Amtsgericht Luckenwalde anzukreiden, entschied 2014 das Landgericht Potsdam. Es habe versäumt, vor der Versteigerung in ausreichendem Maße nach dem Eigentümer zu suchen. Die Versteigerung sei daher nicht rechtens und der Kläger weiterhin Eigentümer des Grundstücks, das er 1991 von seiner verstorbenen Tante geerbt hatte. Für Familie W. besonders hart: der landgerichtliche Beschluss ist rechtskräftig.
Familie sollte binnen eines Jahres ihr Haus räumen
Der Eigentümer zog anschließend gegen die Eheleute vor Gericht. Das Oberlandesgericht Brandenburg gab seiner Klage im Juni 2023 weitgehend statt. Es verurteilte Familie W. dazu, binnen eines Jahres ihr Haus abzureißen und das Grundstück zu räumen. Außerdem solle sie eine Grundschuld über 280.000 Euro plus Zinsen für die Baukosten löschen und dem Eigentümer rund 6.000 Euro für die Nutzung des Grundstücks zahlen.
Das OLG hatte zunächst keine Revision gegen dieses Urteil zugelassen. Eine Beschwerde der Eheleute dagegen hatte aber wiederum Erfolg, sodass der Fall schließlich wegen «grundsätzlicher Bedeutung» doch in Karlsruhe landete. Die Frist für Räumung und Abriss wurde verlängert.
Nach vorläufiger Einschätzung gehe der Fünfte Zivilsenat davon aus, dass die Familie durch die Aufhebung des Zuschlags 2014 das Grundstück endgültig verloren habe, sagte die Vorsitzende Richterin, Bettina Brückner, zu Beginn der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe. Da dieser Beschluss rechtskräftig sei, komme es auch nicht mehr darauf an, ob der Zuschlag damals zu Recht aufgehoben wurde oder nicht.
«Gefangen im eigenen Heim»
Familie W. zweifelt nämlich daran, ob hier wirklich der Fehler beim Amtsgericht lag. Aus ihrer Sicht hat die Behörde sehr wohl im Rahmen ihrer Möglichkeiten nach dem eigentlichen Besitzer gesucht, erklärt Hausbesitzerin W. vor der Verhandlung im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Für die Familie stehe ein «vermeintlicher Justizfehler» noch im Raum. So sei der Beschluss zur Aufhebung des Zuschlags gefasst worden, ohne die Eheleute zu hören und sei trotz von ihnen im Nachgang vorgetragener Mängel rechtskräftig, kritisiert W.
Die Sorge um ihr Haus bereite ihr schlaflose Nächte, sagt W.. Seit Jahren würde das Paar Arbeiten am Haus nach hinten schieben, weil ihnen ihr Zuhause womöglich entzogen werde. Einiges befinde sich noch im Rohbau. «Ich bin ein Stück weit gefangen im eigenen Heim», sagt W.. Einfach hinschmeißen könne sie nicht. Sie stehe im Grundbuch, verkaufen könne sie das Haus aber nicht. Sie müsse einen Kredit bedienen, ein erneuter Hausbau sei also nicht drin.
Die rechtskräftige Aufhebung des Zuschlags dürfe wie vom OLG angenommen Wirkung haben, erklärte BGH-Richterin Brückner. In zwei Punkten war der Karlsruher Senat aber anderer Ansicht als die Kolleginnen und Kollegen in Brandenburg: So könnte der Kläger wohl keinen Anspruch darauf haben, dass Familie W. ihr Haus auf eigene Kosten abreißt, sowie auf Löschung der Grundschuld. Das Ehepaar müsse das Eigentum herausgeben - aber «so, wie es jetzt ist», fasste dessen Anwalt zusammen.
Schutz «gutgläubiger Besitzer»
Ein unberechtigter Besitzer von Eigentum, der aber glaubt, der rechtmäßige Eigentümer zu sein, werde als sogenannter «gutgläubiger Besitzer» im Gesetz geschützt und müsse etwa keinen Schadenersatz zahlen, führte Brückner aus. Von diesem Schutz sei im OLG-Urteil aber nichts zu erkennen. Die Familie verliere entschädigungslos alles, was sie investiert habe, und müsse noch obendrauf zahlen. Könne es richtig sein, dass hier nur die Interessen des Eigentümers zählen? Die Frage stehe auf dem Prüfstand, so Brückner.
Im Fokus der Verhandlung stand auch das Wort «Verwendung» und die Frage, ob der Bau eines Hauses auf einem Grundstück als solche zählt. Sollte der Senat seine jahrelange Rechtssprechung ändern und die Frage bejahen, müsste der Kläger dem Ehepaar für das Haus womöglich Verwendungsersatz zahlen. Hausbesitzerin W. hofft, dass man in diesem Fall doch noch zu einer Einigung kommen könnte, durch die sie Haus und Grundstück behalten könnten.
Muss das Land den Schaden ersetzen?
Sollten das Verfahren im März rechtskräftig zum Abschluss kommen, hätte die Familie voraussichtlich Anspruch darauf, dass das Land Brandenburg ihnen den entstandenen Schaden ersetzt. Denn nach der sogenannten Amtshaftung muss in bestimmten Fällen, in denen ein Beamter eine ihm obliegende Amtspflicht verletzt, das Land als Dienstherr für den entstehenden Schaden aufkommen.
«Das Land Brandenburg steht in der Verantwortung, die durch den Fehler bei der Zwangsversteigerung verursachten materiellen Schäden zu ersetzen», erklärt ein Sprecher des brandenburgischen Justizministeriums auf dpa-Nachfrage. In welcher Höhe ein Amtshaftungsanspruch bestehen wird, hänge von dem Ausgang des BGH-Verfahrens ab. Das Ministerium stehe mit Familie W. im kontinuierlichen Austausch und strebe eine außergerichtliche Einigung an.