Bayern brauchen wieder eine magische Nacht in San Siro
In Mailand haben Bayern-Teams schon Großes vollbracht. Das müssen auch Thomas Müller und Co. 45 Tage vor dem Finale dahoam. Effizienz statt «Krawall» lautet die Vorgabe gegen ein abgezocktes Inter.


Mailand (dpa) - Ein kolossales «Wunder von Mailand» wie 1988 braucht es nicht, eine weitere große Bayern-Nacht in der Fußball-Kultstätte San Siro aber allemal. Eine mit Thomas Müller in der Hauptrolle?
Nach dem 1:2 im Viertelfinal-Hinspiel gegen Inter Mailand, als Müller spät reinkam, prompt das umjubelte 1:1 erzielte und am Ende doch als Verlierer dastand, droht das vollmundig ausgerufene Ziel vom «Titel dahoam» schon 45 Tage vor dem ersehnten Endspiel zu platzen. Ein Szenario, das für den gesamten FC Bayern, aber gerade auch für Vereins-Legende Müller auf der laufenden Abschiedstour eine ganz schlimme Enttäuschung bedeuten würde.
Der 35-Jährige wird alles daran setzen, dass sein 163. Königsklassen-Einsatz, mit dem er am Mittwoch (21.00 Uhr/DAZN) mit Weltstar Lionel Messi auf Platz drei gleichziehen würde, nicht sein letzter ist. Zwei weitere im Halbfinale und ein krönender im Finale am 31. Mai in der Allianz Arena sollen noch folgen.
Eberl warnt: «Nicht auf Krawall» nach vorne
Noch im milden München gab Sportvorstand Max Eberl als Mutmacher den Weg für die «komplizierte» Aufgabe im regnerischen Italien vor. «Wir brauchen Charakter, wir brauchen Mentalität - aber das hat die Mannschaft», sagte der 51-Jährige. Die Zuversicht sei «sehr groß, weil Bayern München immer in der Lage ist, auswärts Spiele zu gewinnen.»
Eine Warnung äußerte er auch, bevor er in den Sonderflieger stieg. «Wir sollten nicht blind versuchen, in den ersten 15 Minuten ein Tor zu machen», mahnte Eberl. Man dürfe «nicht auf Krawall» nach vorne spielen.
Ein Wunder? Müller sieht's anders
Müller glaubt weiter ans Happy End - zunächst in Mailand. «Wenn der FC Bayern auswärts ein Spiel mit einem oder zwei Toren Unterschied gewinnt, werde ich nicht von einem Wunder sprechen», sagte er zur Mega-Aufgabe. Ähnlich sah es Eberl. «Es geht jetzt darum, das Ding einzuhauen», sagte der Sportvorstand.
Ein Fußball-Wunder war das 3:1 im UEFA-Cup-Rückspiel vor 37 Jahren, als die Bayern mit Trainer Jupp Heynckes in San Siro ein 0:2 aus dem Hinspiel wenden konnten. Alle vier Europapokal-Auswärtsspiele gegen Inter Mailand haben die Münchner gewonnen. Und unvergessen ist der erste Königsklassen-Triumph 2001 in Mailand gegen den FC Valencia - übrigens nach Elfmeterschießen.
Gerade mal drei Wochen ist es her, als die Nationalmannschaft mit den Bayern-Profis Joshua Kimmich, Leroy Sané, dem aktuell verletzten Jamal Musiala und dem gefeierten Siegtorschützen Leon Goretzka in der Nations League - im Viertelfinale - mit 2:1 im Giuseppe-Meazza-Stadion gewann. Auch das sollte ein Mutmacher sein.
Müller in Startelf? «Der Trainer sucht aus - und wir machen dann»
Beim Abschlusstraining im sonnig-warmen München war Müller am Dienstag als Anführer mit Feuereifer dabei. Aber wie plant Trainer Vincent Kompany mit dem 35-Jährigen im angesagten Mailänder Regen? Joker wie im Hinspiel? Oder Starter wie beim 2:2 gegen Borussia Dortmund?
Das ist die größte aller Aufstellungsfragen, die Teamplayer Müller selbst nicht verbal aufladen wollte. «Der Trainer wird sich wie vor dem Hinspiel seine Gedanken machen. Wir haben zum Glück und zum Leid des Trainers viele gute Optionen. Der Trainer sucht aus - und wir machen dann.»
Gnabry zündet - trifft Kane?
In der Abteilung Attacke gesetzt sind Harry Kane und Michael Olise. Dazu kommen Müller, Sané und plötzlich auch wieder Serge Gnabry, der gegen den BVB als Torvorbereiter und Torschütze ein Gamechanger war. «Wenn Serge körperlich stabil ist, kann man seine Qualität nicht aufhalten», sagte Kimmich. Kompany könnte aber auch wieder auf Raphaël Guerreiro als Musiala-Ersatz setzen. Der Portugiese spielte im Hinspiel auf der Zehner-Position.
Kimmich fordert unabhängig davon einen «erwachsenen» Auftritt gegen das abgezockte Inter-Team um Stürmerstar Lautaro Martinez und den Ex-Bayern Yann Sommer im Tor. Inter-Coach Simone Inzaghi hielt mit italienischem Pathos dagegen: «Wir müssen unser Opus in San Siro komplettieren!»
Klar ist: Die Bayern müssen treffen, mindestens einmal für eine mögliche Verlängerung. Ein Fall für Raumdeuter Müller? Auf jeden Fall einer für Torjäger Kane, der im Achtelfinale gegen Bayer Leverkusen noch drei der insgesamt fünf Bayern-Tore erzielte. Im Hinspiel gegen Inter schoss der vermeintlich Unfehlbare jedoch den Ball bei einer 100-Prozent-Chance an den Pfosten.
«Kühler» vor dem Tor müsse man in Mailand sein, mahnte der Engländer: «Wir müssen mit der Einstellung ins Spiel gehen, dass wir gewinnen können. Es ist nur ein Tor in 90 Minuten. Es wird schwierig, aber wir glauben daran.»
Wackelabwehr als Problem
Effizienz ist das Zauberwort, das alle Münchner umtreibt, auch Kompany. Er schöpfe Kraft daraus, «dass wir gegen Inter und Dortmund zusammen 50 Torschüsse hatten». Aber nur drei waren drin.
Und das reicht nicht, wenn in einer Abwehr ohne Torwart Manuel Neuer, Dayot Upamecano und Alphonso Davies ständig gepatzt wird. «Es wirkt gerade nicht so, dass der Gegner immer einen enorm überragenden Spielzug braucht, um ein Tor gegen uns zu machen», bemerkte Müller zur defensiven Anfälligkeit. In Mailand muss beim jungen Torwart Jonas Urbig (21) möglichst die Null stehen.