Streitfall Gams - Wie geht es mit dem Alpentier weiter?
Wie stark Gamswild in den Alpen bejagt werden soll - diese Debatte gibt es seit Jahrzehnten. Nun kocht sie erneut hoch. Hintergrund ist nicht nur ein Gerichtsentscheid.
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München (dpa/lby) - Ist die Gams in Gefahr? Oder ist die Gams eine Gefahr? Das Symboltier der Alpen beschäftigt Behörden, Naturschützer, Justiz und Jäger. In der Frage, ob die Gams in einigen Regionen Bayerns zum Schutz der Bergwälder ganzjährig gejagt werden soll, gibt es unterschiedliche Positionen: Die Bayerischen Staatsforsten setzen auf eine Aufhebung der Schonzeit. Dagegen haben der Bayerische Jagdverband (BJV) und der Verein Wildes Bayern zunächst erfolgreich geklagt. Vom Tisch ist das Thema damit nicht.
Hintergrund ist die seit vielen Jahren laufende Sanierung der sogenannten Schutzwälder in einigen Bereichen der Alpen. Als Schutzwälder gelten solche, die tiefer liegende Siedlungen, Infrastruktur und Landschaft vor Erosion, Muren- und Lawinenabgängen schützen sollen. Den Staatsforsten zufolge dienen etwa 60 Prozent der Gebirgswaldflächen als Schutzwald.
Schutz junger Bäume vor Verbiss
Einige der Schutzwälder könnten ihre Funktion aber aufgrund von Nutzung, Klimawandel oder Verbiss nicht mehr erfüllen. Deswegen laufen auf rund 10.000 Hektar Schutzwaldfläche Sanierungsmaßnahmen: Es werden Bäume gepflanzt, die in 30 bis 50 Jahren hochgewachsen sein sollen. Deren junge Triebe seien jedoch für das Gamswild «besonders wohlschmeckend», so ein Sprecher der Staatsforsten. Insofern richteten die Tiere große Schäden an.
Laut dem von Forstministerin Michaela Kaniber (CSU) im November vorgestellten «Forstlichen Gutachten zur Situation der Waldverjüngung 2024» nahmen Schäden durch Wildverbiss in den vergangenen drei Jahren deutlich zu, bei der Tanne stiegen sie beispielsweise von 17 auf 23 Prozent.
Durch die Schonzeitaufhebung durfte Gamswild in den Waldsanierungsgebieten mit wenigen Ausnahmen ganzjährig gejagt werden. In der Diskussion ist insbesondere der Zuschnitt beziehungsweise die Größe dieser Flächen.
Juristische Fragen offen
Die 2019 erlassene und im Juli 2024 ausgelaufene Verordnung erklärte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im November 2024 rückwirkend für unwirksam. Im Dezember 2024 erließ die Regierung von Oberbayern erneut eine solche Verordnung. Dagegen ging der Jagdverband mittels Eilantrag beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vor - und bekam vorläufig Recht.
Ein Gerichtssprecher verwies darauf, dass die neue Verordnung inhaltlich weitestgehend mit der Vorgängerverordnung übereinstimmte. Und weil die schriftliche Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichtes noch nicht vorliege, lasse sich nicht überprüfen, ob die dort festgestellten Unwirksamkeitsgründe auch bei der Nachfolgeverordnung griffen.
Noch warten die Beteiligten auf die Urteilsbegründung aus Leipzig. Ein Sprecher der Regierung von Oberbayern teilte der dpa mit, dass insofern momentan keine neue Verordnung in Arbeit sei. Der Jagdverband arbeitet einer Sprecherin zufolge derweil nach dem Eilantrag nun am Hauptsacheantrag, der ebenfalls bei Gericht eingereicht werden soll.
Welche Argumente aufeinandertreffen
Aus Sicht des Jagdverbandes befördert der erhöhte Jagddruck den Verbiss in den Wäldern, da sich das Wild dann Schutz suchend in die Wälder zurückziehe und dort an Zweigen knabbere anstatt auf Wiesen zu äsen. Außerdem verbrauchten die Tiere durch das verstärkte Bejagen mehr Energie und müssten daher mehr fressen.
Der Bund Naturschutz (BN) argumentiert dagegen, ein wichtiges Ziel der Schonzeitaufhebung sei es, durch den erhöhten Jagddruck die Gämsen aus den Schutzwald-Sanierungsgebieten in höhere, weniger bewaldete Regionen zu vergrämen.
Staatsforsten: Gams-Population stabil
Die Staatsforsten veröffentlichten jüngst die Ergebnisse eines Gams-Monitorings. Da heißt es: «Nachdem 2023 im Vergleich zum Vorjahr etwas weniger Tiere bei der Zählung erfasst wurden, geht der Trend 2024 wieder nach oben.» Die bislang vorliegenden Zählergebnisse legten nahe, dass die Bestände stabil seien (2022: 2.060, 2023: 1.894, 2024: 1.982). Eine gesicherte Beurteilung des Bestandes soll nach zehn Zähljahren vorliegen.
Für das Monitoring zählten Mitarbeiter der Staatsforsten seit 2020 an knapp 100 festen Beobachtungspunkten zwischen Sonthofen und Berchtesgaden Gämsen. Wissenschaftlich begleitet werden sie hierbei unter anderem durch die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) und die AG Wildbiologie und Wildtiermanagement der Technischen Universität München.
Die LWF hatte im Herbst ebenfalls Zahlen vorgelegt, nach denen es zumindest in den Regionen im Karwendel und im Chiemgau stabile Bestände gab.
Verein Wildes Bayern: Kritik an Zählmethodik
Christine Miller, Vorsitzende des Vereins Wildes Bayern, kritisiert die Zählmethodik des Monitorings der Staatsforsten als mangelhaft. Es bräuchte genauere Feinabstimmungen der Zählteams untereinander, um Doppelzählungen von Gämsen zu vermeiden. Sie räumte aber auch ein, dass es in einzelnen Regionen wie dem Karwendel der Gams «sicher gut geht».
Der Verein argumentiert zudem, dass eine durchgehende Jagdaktivität geschützte Arten wie Raufußhühner oder Steinadler teilweise massiv störe. Ein Großteil der oberbayerischen Bergwälder und Almflächen sei geschützt nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union, so Miller. Bevor auf geschützten Flächen die Schonzeit aufgehoben wird, müsse eine Vorprüfung durch die Naturschutzbehörden stattfinden.
BN: Population mancherorts «aus dem Ruder gelaufen»
Der Bund Naturschutz spricht von einer hohen Gams-Population in bestimmten Regionen wie dem Karwendel und hält eine stärkere Regulierung der Gämsen zum Schutz der Bergwälder für notwendig. Angesichts des Klimawandels spiele bei der Waldverjüngung die Tanne eine wichtige Rolle. Junge Tannen könnten aber vielerorts aufgrund des starken Wildverbisses schlecht wachsen.
Insgesamt müsse der Gams-Bestand an den Lebensraum angepasst werden, das gelte auch für das Rot- und Rehwild. In einigen Bereichen seien die Populationen «aus dem Ruder gelaufen». Deswegen befürworte der BN eine Aufhebung der Schonzeit in bestimmten Regionen.