Geier Wiggerl hebt zum Jungfernflug ab
Wochenlang üben die jungen Bartgeier Vinzenz und Wiggerl im Nationalpark Berchtesgaden für den ersten Flug. Nach Vinzenz ist nun auch Wiggerl erfolgreich.
Berchtesgaden (dpa/lby) - Nach Vinzenz hat es nun auch Wiggerl geschafft: Eine knappe Woche nach seinem gleichaltrigen Mitbewohner in der Felsnische im Nationalpark Berchtesgaden ist der etwa vier Monate alte Bartgeier zu seinem ersten Ausflug gestartet. Am Sonntagmorgen um 7.25 Uhr sei Wiggerl abgehoben - und habe seinen ersten Flug sehr gut gemeistert, teilten der Naturschutzverband LBV und der Nationalpark am Montag mit.
«Mit einem Alter von 120 Tagen liegt der Erstflug des Bartgeiers genau im Durchschnitt», erläuterte der LBV-Projektleiter Toni Wegscheider. Die Auswilderung der beiden sei ein weiterer Schritt zur Verbreitung dieser seltenen Art in den Ostalpen, sagte Nationalpark-Projektleiter Ulrich Brendel.
Vinzenz war schon am vergangenen Dienstag gestartet. Der Erstflug hätte auch Wiggerl animieren können - doch er blieb erst mal im Nest hocken. Nach der Rückkehr von Vinzenz in die Nische und einem erneuten Abflug wurde schließlich auch Wiggerl dazu gebracht, den Start zu wagen.
Geier trifft Gams
Kurios war Wiggerls erste Begegnung bei seiner ersten Landung. Eine Gams war sichtlich irritiert von seinem Erscheinen und setzte zu einer halbherzigen Attacke mit ihren Hörnern an. Wiggerl entfleuchte in die Lüfte und landete sicher auf einem Felsturm.
Es sei zu erwarten, dass Wiggerl in den nächsten Tag stark vom Entwicklungsvorsprung von Vinzenz profitiere, erläuterten die Bartgeier-Experten. Vinzenz habe etwa bereits einen der vom Team angelegten Futterplätze entdeckt und erweise sich außerdem als außergewöhnlich guter Flieger. Schon in den ersten Tagen nach dem Erstflug kreiste er weit in der Auswilderungsregion herum und parierte mit erstaunlicher Wendigkeit den Luftangriff eines Steinadlers.
Zusammenleben nicht immer friedlich
Vor knapp vier Wochen Ende Mai waren die beiden Bartgeier im Klausbachtal ausgewildert worden. Nicht immer ging das Zusammenleben der beiden «Halbstarken» friedlich ab. Gelegentlich stritten die beiden um die besten Futterhappen. Einmal stürze Wiggerl nach einer Auseinandersetzung sogar aus der Nische über 30 Meter in die Tiefe - er blieb aber unverletzt. Alles in allem handele es sich dennoch um ein recht moderates Verhalten zweier Jungvögel untereinander, betonte Nationalpark-Projektleiter Brendel vergangene Woche.
Es war die vierte Auswilderung im Nationalpark. Die ersten Geier - Bavaria und Wally - kamen 2021 aus Spanien, ebenso ihre Nachfolgerinnen Dagmar und Recka. Sisi und Nepomuk - das erste Männchen - kamen 2023 aus Österreich dazu. Wally hat als bisher einziges Tier nicht überlebt, sie wurde von einem Stein erschlagen. Vinzenz ist Österreicher, Wiggerl kam aus einem Zuchtprogramm in Finnland. Fans können das Treiben der beiden an der Auswilderungsnische live über Webcam verfolgen.
Größte flugfähige Vögel
Die Geier zählen mit einer Spannweite bis zu 2,90 Metern zu den größten flugfähigen Vögeln der Welt. 1879 war laut Wegscheider der letzte Bartgeier auf deutschem Boden geschossen worden - am Hintersee bei Ramsau, nur etwa einen Kilometer von der Stelle entfernt, wo im Mai die jungen Vögel ausgesetzt wurden. Früher habe man die Tiere für gefährlich gehalten und angenommen, dass sie Lämmer in den Abgrund reißen. Tatsächlich aber sind sie für Menschen und Tiere ungefährlich. Sie fressen nur Aas.
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